Ein Bericht über die Ausbildung Hessens jüngster lizenzierter Tennis-Schiedsrichterin

Am vergangenen Wochenende fanden in Offenbach am Main die International HTV Junior Open statt. Ein Jugend-Weltranglistenturnier der höchsten Kategorie, vergleichbar mit den vier Grand Slam Turnieren in Wimbledon, Paris, New York oder  Melbourne.

Mit dabei war aber nicht nur das „Who is Who“ des internationalen Tennis-Nachwuchses, sondern auch die 15-jährige Laeticia Wessel aus Kassel. Die Schülerin, die die bilinguale 9. Klasse des Kasseler Goethe-Gymnasiums besucht, war eine von insgesamt 14 Teilnehmer*innen eines zentral durch den Deutschen Tennis-Bund (DTB) veranstalteten Schiedsrichter-Lehrgangs, der in der Turnierwoche durchgeführt wurde. Dabei wurden die Teilnehmer*innen, die aus dem gesamten Bundesgebiet angereist waren, durch ein internationales, erfahrenes Team von Schiedsrichter*innen ausgebildet, begleitet und im Anschluss sowohl theoretisch als auch praktisch „auf Herz und Nieren“ geprüft.

 

 Referentin Lia Habighorst bei der Erklärung der Wahlmöglichkeiten…. „Out or In?“ – Die Ballmark-Inspection

Laeticia machte ihre Sache sehr gut und schloss die theoretische Prüfung mit der Bestnote „1“ (95%) ab. Auch in der anschließenden Praxisausbildung zeigte sie starke Leistungen. Am Anfang noch etwas schüchtern und vorsichtig, entwickelte sie sich  on Spiel zu Spiel weiter, natürlich auch bedingt durch das unmittelbare Feedback und die Tipps  ihrer Ausbilder, die sie gleich im nächsten Match in die Tat umsetzen konnte. Durch die seitens ihrer Schule ermöglichte Chance, an der gesamten Turnierwoche teilnehmen zu können, leitete Laeticia fortan Match für Match und entwickelte sich dabei so gut, dass sie durch den Tournament Referee die nicht selbstverständliche Anerkennung verliehen bekam, zum Ende der Turnierwoche ein Viertelfinale der  Juniorinnen-Konkurrenz im Einzel zu leiten. Dort standen sich die Weltranglisten 14. Lucie Havlickova (CZE) und die Weltranglisten 34. Michaela Laki (GRE) gegenüber. Laeticia erledigte ihren Job souverän. Dabei wurde ihr auch zum ersten Mal die zweifelhafte Ehre zuteil, gegen eine Spielerin eine Verwarnung auszusprechen, als diese nach verlorenem ersten Satz aus Wut ihren Schläger zertrümmerte. Klingt leicht, ist es aber nicht unbedingt, denn da, wo z.B. Fußballschiedsrichter einen gelben   Karton aus der Tasche ziehen und in die Höhe halten, muss im Tennissport das „Wording“ exakt und wortgetreu stimmen, bei einem Weltranglistenturnier auch in englischer Sprache.

Hier kam der 15-jährigen eindeutig ihre bilinguale Schulausbildung zugute, die dafür sorgt, dass ihr der Wechsel vom Deutschen zum Englischen und andersherum zum einen leicht fällt, sie zum anderen aber auch in der Lage ist, sich in englischer Sprache mit den Spieler*innen zu unterhalten. „Code violation, Racket abuse, warning Ms. ****“ hallte es laut, deutlich und fehlerlos vom Schiedsrichterstuhl.  Keine zwingend einfache Situation, wenn man bedenkt, dass hier eine 15-jährige Schülerin eine 17-jährige Profispielerin in die Schranken wies. Aber offensichtlich von Erfolg gekrönt, denn die Spielerin akzeptierte ihre „Strafe“ ohne Murren, wechselte ihr Spielgerät und setzte das Spiel fort.

 

Entsprechend gab es zum Abschluss noch ein Extra-Bonbon, denn am Samstag, als eigentlich die Heimreise anstand, staunte die 15-jährige nicht schlecht, als sie völlig unerwartet ihren Namen in der Ansetzung der Halbfinalpartien fand. Sie durfte das Junioren Doppel-Halbfinale zwischen Kilian Feldbausch (SUI) / Paul Inchauspé (FRA) und Peter Nad (SVK) / Ivan Sodan (CRO) leiten. Ein Angebot, das man nicht ablehnen kann. Heimfahrt gestrichen, rauf auf den „Bock“, wie der Schiedsrichterstuhl im Fachjargon gern genannt wird. Besser lernen kann man nicht, auch wenn Laeticia zunächst gehörig Respekt vor der Doppelpartie hatte. Vier Spieler auf dem Platz, hohe Geschwindigkeit und dann auch noch die Spezialitäten der No-Let (Aufschlag-Netzroller wird weitergespielt, nicht wiederholt) und der No-Ad-Regel (kein Vorteilsspiel, bei „Einstand“ gibt es einen Entscheidungspunkt, bei dem der Rückschläger entscheiden darf, von welcher Seite des Platzes der Aufschläger aufschlagen muss), die im Doppel beide zur Anwendung kommen. Aber auch hier lieferte Laeticia eine tadellose Leistung ab und erhielt von den Spielern, die auf der Junioren-Weltrangliste immerhin auf den Positionen 7, 25, 36 und 97 der platziert waren, Lob und Anerkennung, denn auch wenn hier Junioren der Altersklasse U18 am Werk waren, so schlagen sie den Ball dennoch bereits mit einer Geschwindigkeit deutlich jenseits der 200 km/h, sodass ein flinkes Auge gefordert ist.
Den Sonntag konnte Laeticia als Zuschauerin genießen, nun jedoch mit anderen Augen. Sie bevorzugte es, primär der Arbeit des internationalen Bronze-Badge-Schiedsrichters David Mazacek (CZE) bei der Leitung des Finals der Junioren und ihrem neuen hessischen Schiedsrichterkollegen Carl Richter zuzusehen und sich hier vielleicht noch den einen oder anderen Trick abzuschauen.

Abschließend staunte die frisch gebackene C-Schiedsrichterin nicht schlecht, als sie erfuhr, dass sie für ihre Arbeit auch noch eine Aufwandsentschädigung erhält, die deutlich oberhalb dessen liegt, was sie als Taschengeld von ihren Eltern bekommt und dass sie sich nun „Jüngste lizenzierte Tennis-Schiedsrichterin Hessens“ nennen darf. Ein tolles Erlebnis für Laeticia, die fest plant, ihren Weg als Schiedsrichterin weiterzugehen. Als nächste Schritte werden noch in diesem Jahr Einsätze in den Tennis-Bundesligen sowie bei nationalen und internationalen Turnieren folgen. Da unterhalb der Bundesligen alle Matches im Ligabetrieb ohne Stuhlschiedsrichter gespielt werden, geht es für die frisch gebackenen Schiedsrichter*innen gleich von Beginn an hoch hinaus, denn in den Bundesligen tummelt sich die Weltelite des Tennissports, die man ansonsten nur im TV sieht. Im nächsten Jahr strebt die 15-jährige dann die Aufnahme in die „Junior Group“ des DTB an. In der Junior Group werden junge Schiedsrichter*innen durch den DTB besonders gefördert. Sie bekommen u.a. die Möglichkeit, sich sowohl national als auch international auf großen Turnieren zu beweisen. Dabei werden sie durch erfahrene, internationale Schiedsrichter gecoacht, bewertet und für die Ausbildung zum B-Schiedsrichter vorbereitet. Diesem folgt die A-Schiedsrichterlizenz, die höchste deutsche Schiedsrichterlizenz. Ist diese geschafft, kann man in der Folge in das internationale Schiedsrichtergeschäft wechseln und das erste Badge, das so genannte „White Badge“ der International Tennis Federation (ITF) erwerben. Dem White Badge folgen dann Bronze, Silber und letztendlich Gold, wobei weltweit derzeit nur 20 Schiedsrichter und 12  Schiedsrichterinnen das Gold Badge besitzen.

Laeticia hat die erste Hürde im Schiedsrichterwesen übersprungen und sie freut sich auf die nächsten Aufgaben und Herausforderungen.

Mit dem aktiven Tennissport aufhören möchte die 15-jährige, die für den Kasseler TC 1931 an den Start geht, übrigens nicht.

„Ich denke, dass ich das Spielen und das Schiedsen gut unter einen Hut bekommen werde. Mein Ziel ist es ja nicht, Profispielerin zu werden. Das würde vielleicht nicht so gut passen, da, wenn man unter Profibedingungen trainiert, die Wochen und Wochenenden eigentlich immer verplant sind. Ich kann frei entscheiden, ob ich spielen oder schiedsen möchte. Ich trage vor der Saison meine Verfügbarkeit für Einsätze als Schiedsrichterin ein (das sind in der Regel die, an denen ich keine Spiele mit meiner Mannschaft habe), an den anderen Wochenenden habe ich frei und/oder kann selbst spielen. Das passt prima.“

Nach ihren Zielen als Schiedsrichterin befragt, antwortet die ansonsten durchaus schüchterne Nordhessin selbstbewusst: „Irgendwann einmal auf den großen Plätzen auf dem Schiedsrichterstuhl zu sitzen, das wäre schon cool. Aber auch in der Bundesliga und auf Turnieren gibt es viele richtig gute Spieler und Herausforderungen. Ich gebe einfach mein Bestes und schaue dann, wie weit ich kommen kann. Der Lehrgang hat mir schon unheimlich viel gebracht. Vor dem Lehrgang hatte ich Panik, weil ich ja wusste, dass ich es mit den besten Junioren-Spielern der Welt zu tun bekomme. Ich wollte eigentlich nur die Theorie machen und die Praxis später. Dann sind alle aus dem Lehrgang auf den Stuhl gegangen, da wollte ich nicht als Einzige „Nein“ sagen. Im Nachhinein war es das Beste, was mir passieren konnte. Im ersten Match habe ich von Kopf bis Fuß gezittert. Jetzt, zehn Matches später, kann ich es kaum erwarten, das nächste Match zu schiedsen, auch wenn ich  mmernoch vor jedem Match aufgeregt bin.“

Befragt nach der Tatsache, dass sie es schon bald in der Bundesliga der Herren 30 mit durchaus charismatischen Spielern wie zum Beispiel Fabio Fognini oder Marcos Baghdatis zu tun bekommen könnte, zeigt sich gar ein Funkeln in den Augen der 15-jährigen: „Fognini wäre cool. Er ist ein toller Tennisspieler und spielt auch Pure Drive *lacht*. Natürlich habe ich viele Matches von ihm gesehen und weiß daher auch, dass er schon einmal unangenehm werden kann, aber letztendlich muss ich da oben meinen Job machen und der lautet, das Match zu leiten. Wir alle müssen uns an die Regeln halten und tut ein Spieler das nicht, ist es meine Aufgabe, etwas dagegen zu tun, egal ob der Spieler Fognini, Baghdatis oder anders heisst.“

 

Patrick Mackenstein, DTB Referent für Regelkunde und Schieds-
richterwesen und Tournament Referee der International HTV

Junior Open 2022 überreicht Laeticia ihre DTB-Schiedsrichterlizenz
sowie das heiss ersehnte Patch des DTB-Schiedsrichterteams, das
ab sofort ihre Einsatzkleidung zieren wird.

 

Der Deutsche Tennis Bund wie auch seine Landesverbände sind stets auf der Suche nach Schiedsrichternachwuchs. Schon ab 14 Jahren kann man als Schiedsrichter im Tennissport einsteigen. Eine gute Sehfähigkeit ist Voraussetzung, Erfahrungen im Tennissport als Spieler*in sowie Englischkenntnisse sind sehr hilfreich.

Ansprechpartner sind die Referenten für Regelkunde und Schiedsrichterwesen der Landesverbände, für Hessen der
Hessischer Tennis-Verband e.V.
Auf der Rosenhöhe 68,
60369 Offenbach am Main
Mail: zentrale@htv-tennis.de

 

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